Am schlimmsten sei die Erschöpfung
Beim Treppensteigen geriet sie in Atemnot, dazu hatte sie extreme Konzentrationsprobleme, später kamen neurologische Auffälligkeiten. Es kribbelte in ihren Armen, als würden Ameisen darin laufen. Oder ihr fiel plötzlich der Kugelschreiber aus der Hand. Am schlimmsten aber, sagt die Betroffene, seien diese aus dem nichts kommenden Erschöpfungszustände.
Sie beschreibt es mit der bekannten Metapher: Es sei, als hätte jemand einem den Stecker gezogen. „Nur ist dieses Erschöpfungsgefühl nicht positiv wie etwa nach einer anstrengenden Radtour. Es fühlt sich schlimm an. Man möchte sich nur noch fallenlassen und nicht mehr aufstehen.“ Das gehe an die Psyche, sagt sie. „Es macht mich wütend auf die Situation.“ Auch, weil es noch nicht die richtigen medizinischen Lösungen und Therapieansätze gebe.
Dies sind die Worte einer Long-Covid Patientin. Doch diese erschöpfende Müdigkeit betrifft auch Andere….
Fast alle KrebspatientInnen aber auch Personen mit anderen chronischen Erkrankungen kennen diese Erschöpfung, die man erst versteht, wenn man sie selbst erlebt hat und die mit Worten schwer zu erklären ist.
Man kennt diesen Erschöpfungszustand auch unter dem Namen Fatigue Syndrom:
Das Fatigue-Syndrom bezeichnet ein Gefühl von anhaltender Müdigkeit, Erschöpfung und Antriebslosigkeit. Es beeinträchtigt das Leben der Betroffenen nachhaltig und lässt sich auch durch viel Schlaf nicht beseitigen. In manchen Fällen ist Fatigue eine Begleiterscheinung chronischer Erkrankungen wie Krebs, Rheuma, Aids, oder Folge außergewöhnlicher Belastungen (wie einer Chemotherapie).
Fatigue: Häufigkeit
Wie häufig das Fatigue-Syndrom vorkommt, lässt sich nicht genau sagen. Zum Auftreten der anhaltenden Erschöpfung im Rahmen verschiedener Erkrankungen gibt es entsprechende Untersuchungen. Diese beruhen aber meist nur auf den subjektiven Angaben von Patienten. Dennoch ist auffällig, wie häufig chronische Müdigkeit als belastendes Symptom angegeben wird. Demnach leidet deutlich mehr als die Hälfte aller Patienten mit Multipler Sklerose (MS) unter Fatigue. Bei Parkinson-Patienten liegt der Anteil der Betroffenen je nach Studie zwischen 43 und 60 Prozent; bei Krebs-Patienten soll er sogar mehr als 90 Prozent betragen, schätzen verschiedene Experten.
Fatigue-Syndrom: Beschreibung
Der Begriff „Fatigue“ stammt aus dem französischen und Sprachgebrauch und bedeutet Müdigkeit oder Erschöpfung. Demnach zeichnet sich das Fatigue-Syndrom durch ein anhaltendes Gefühl von Müdigkeit, Erschöpfung und Antriebslosigkeit aus, das sich auch durch viel Schlaf und Ausruhen nicht vertreiben lässt. Das Leben der Betroffenen wird durch die permanente, extreme Mattigkeit nachhaltig beeinträchtigt. Abzugrenzen ist das Fatigue-Syndrom vom Chronischen Erschöpfungssyndrom (Chronic Fatigue Syndrome, CFS), dass sich zwar ähnlich äußert, aber neueren Forschungen zufolge eine Autoimmunerkrankung ist.
Insgesamt zeigen repräsentative Studien, dass die Häufigkeit von Fatigue mit dem Alter zunimmt und Frauen häufiger betroffen sind als Männer.
Fatigue-Syndrom: Symptome
Das Fatigue-Syndrom äußert sich in einem unüberwindlichen, anhaltenden Gefühl der körperlichen und/oder geistigen Erschöpfung. Die Betroffenen fühlen sich physisch und mental weniger leistungsfähig als früher: Selbst „normale“ körperliche Aktivitäten wie Zähne putzen, Kochen, Telefonieren, Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistungen werden oft als kaum durchführbar empfunden. Nach solchen Aktivitäten fühlen sich die Fatigue-Patienten unverhältnismäßig erschöpft. Entscheidendes Merkmal bei Fatigue ist zudem, dass sich extreme Müdigkeit und Erschöpfung auch durch viel Schlaf nicht lindern lassen – die Betroffenen gehen erschöpft schlafen und stehen am nächsten Morgen genauso erschlagen auf.
Die weit über das normale Maß hinausgehende Erschöpfung führt oft dazu, dass sich die Betroffenen zurückziehen und ihre beruflichen und privaten Aktivitäten immer weiter einschränken.
Fatigue-Syndrom: Ursachen und Risikofaktoren
Grundsätzlich werden drei Arten von Fatigue unterschieden:
- Fatigue als Begleiterscheinung chronischer Erkrankungen wie Krebs, Multiple Sklerose, Morbus Parkinson, systemischer Lupus erythematodes, Rheumatoide Arthritis („Rheuma“) oder HIV/Aids
- Fatigue als Folge anderer Umstände wie etwa schwere Schlafstörungen, nächtliche Atemaussetzer (Schlafapnoe), anhaltende Schmerzen, Schilddrüsenerkrankungen, Blutarmut (Anämie), Mangelernährung, Interferonbehandlung (bei Multipler Sklerose, Hepatitis C oder bestimmten Krebsarten) oder Chemotherapie (bei Krebs)
- Fatigue als eigenständige Erkrankung – Mediziner sprechen hierbei vom Chronischen Erschöpfungssyndrom (chronic fatigue syndrome, CFS)
In einigen Fällen sind die auslösenden Faktoren einer Fatigue bekannt. So ist etwa bei Blutarmut (Anämie) die Zahl der roten Blutkörperchen, die für den Sauerstofftransport zuständig sind, verringert. In der Folge erhalten die Körperzellen zu wenig Sauerstoff, was unter anderem zu Leistungsabfall und Müdigkeit führt.
Die Entstehung von Fatigue als Begleiterscheinung chronischer Erkrankungen ist dagegen in den meisten Fällen noch unklar. Experten vermuten aber, dass es hier keinen einzelnen Auslöser für die anhaltende Erschöpfung gibt, sondern dass vielmehr mehrere Faktoren zur Fatigue beitragen (Fatigue als multifaktorielles Geschehen). Im Verdacht stehen unter anderem:
- Veränderungen innerhalb des zentralen Nervensystems (wie bei Parkinson und Multipler Sklerose)
- Veränderungen im endokrinen System (Hormonhaushalt)
- Fehlregulationen des Immunsystems (Fatigue ist ein häufiges Symptom bei Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose, rheumatoide Arthritis und systemischer Lupus erythematodes!)
- Entzündliche Prozesse (wie bei rheumatoider Arthritis und Fibromyalgie)
Fatigue bei Krebs
Am besten untersucht ist die tumorbedingte Fatigue, also eine anhaltende Erschöpfung als Begleit- und Folgeerscheinung einer Krebserkrankung. Auch hier spielen mehrere Faktoren bei der Entstehung der Fatigue zusammen, glauben Experten:
Der Krebs selbst: Der Tumor kann Veränderungen im Körper hervorrufen, die zu einer Fatigue führen. Die Krebszellen können beispielsweise Substanzen produzieren, die Müdigkeit und Abgeschlagenheit hervorrufen. Im Verdacht stehen die Zytokine – bestimmte Eiweiße des Körpers. Manche Krebsarten erhöhen den Energiebedarf, schwächen die Muskeln oder greifen in hormonelle Kreisläufe ein – all diese Faktoren können zur Erschöpfung beitragen.
Die Krebsbehandlung: Operation, Chemotherapie, Bestrahlung, Immuntherapien und Knochenmarkstransplantation können allesamt Fatigue (mit-)verursachen. Eine Chemotherapie zerstört zum Beispiel nicht nur Krebszellen, sondern auch gesunde Zellen und Gewebe, beispielsweise Immunzellen. Eine Verminderung der roten Blutkörperchen (Erythrozyten) führt zur Blutarmut (Anämie) – diese wird als Hauptursache der Fatigue gesehen. Eine Verminderung der weißen Blutkörperchen (Leukozyten) erhöht die Anfälligkeit für Infektionen, was ebenfalls den Körper schwächt.
Die Krebstherapie hat noch andere Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Schmerzen, Schlaflosigkeit und psychische Beeinträchtigungen – sie gelten ebenfalls als (Mit-)Ursachen der Fatigue.
Andere Faktoren: Auch die Psyche spielt bei einer Krebserkrankung und der damit einhergehenden Fatigue eine Rolle. Eine Krebsdiagnose und -therapie können Stress, Ängste, Depressionen und Schlafstörungen auslösen. Daneben können Medikamente (wie Schmerzmittel), Mangelernährung und ein Defizit an körperlichem Training zur Fatigue beitragen. Das Gleiche gilt für hormonelle Veränderungen im Zuge der Krebsbehandlung wie etwa Veränderungen der Schilddrüsen-, Nebennieren- oder Geschlechtshormone.
Fatigue-Syndrom: Untersuchungen und Diagnose
Zur Abklärung einer unerklärlichen Müdigkeit erfragt der Arzt zunächst die Krankengeschichte (Anamnese). Wichtig ist zum Beispiel, seit wann die Erschöpfung besteht, wie ausgeprägt sie ist und wie sehr sie das Alltagsleben beeinträchtigt. Außerdem erkundigt sich der Arzt nach weiteren Beschwerden, dem Schlafverhalten, der Einnahme von Medikamenten, dem Konsum von Alkohol, Koffein, Nikotin und eventuell illegalen Drogen sowie der beruflichen, familiären und sozialen Situation.
Im Anschluss folgt eine körperliche Untersuchung, einschließlich einer Blutuntersuchung. Sie kann zum Beispiel eine Blutarmut (Anämie) als Auslöser von Fatigue entlarven.
Fatigue ist ein subjektives Symptom. Es gibt aber eine Reihe von Verfahren (Fragebögen, Skalen), mit deren Hilfe der Arzt die Erschöpfung objektiver erfassen kann.
Wichtig bei der Abklärung von Fatigue ist die Abgrenzung zur Depression, denn auch diese kann eine starke Müdigkeit und Antriebslosigkeit hervorrufen.
Fatigue-Syndrom: Behandlung
Steckt hinter der Fatigue eine organisch bedingte Ursache wie zum Beispiel Blutarmut (Anämie), ist oft eine medikamentöse Behandlung möglich. Das Gleiche gilt, wenn beispielsweise schwere Schlafstörungen, Schmerzen oder Schilddrüsenerkrankungen mit Fatigue einhergehen.
Schwieriger wird es, wenn die Ursache der anhaltenden Erschöpfung völlig unbekannt ist oder mehrere Faktoren zur Entstehung einer Fatigue beitragen, wie es bei vielen chronischen Erkrankungen der Fall ist. Oft kommen dann sowohl medikamentöse als auch nicht-medikamentöse Maßnahmen zum Einsatz – zusammen mit einer individuellen Beratung, die dem Betroffenen helfen soll, mit den Fatigue-bedingten Einschränkungen in seinem Alltagsleben besser zurechtzukommen.
Medikamente
Trägt Blutarmut zur Fatigue bei, können dem Körper entweder rote Blutkörperchen von außen zugeführt (Bluttransfusion) oder das für die Blutbildung zuständige Hormon Erythropoetin (EPO) verabreicht werden. Beide Therapien verbessern die Leistungsfähigkeit und damit die Lebensqualität der Patienten, haben aber verschiedene Vor- und Nachteile: Eine Bluttransfusion wirkt schneller, birgt aber verschiedene Infektions- und Unverträglichkeitsrisiken. Die Gabe von Erythropoetin ist risikoärmer, wirkt aber erst nach einigen Wochen und nicht bei allen Patienten. Zudem darf das Hormon nur parallel zu einer Chemo- oder Strahlentherapie verabreicht werden.
Auch Hormonstörungen (Schilddrüse, Nebennieren) als Mitverursacher einer Fatigue lassen sich medikamentös behandeln.
Seelische Verstimmungen werden manchmal versuchsweise mit Antidepressiva behandelt. Allerdings werden diese derzeit nicht allgemein empfohlen, weil die Wirksamkeit bei Fatigue noch nicht nachgewiesen ist.
Ebenfalls erst in Erprobung ist die medikamentöse Behandlung einer Fatigue, die sich vor allem auf die geistige Leistungsfähigkeit (Konzentration, Gedächtnis etc.) auswirkt. Im Rahmen von Studien wird hierzu die Wirksamkeit von Psychostimulanzien (wie dem ADHS-Medikament Methylphenidat) getestet. Ob sie allerdings die Konzentrations- und Gedächtnisprobleme wirklich beheben können, ist noch unklar.
Nicht-medikamentöse Therapie
Bewegung hilft sowohl dem Körper als auch der Seele. Am besten ist es, schon frühzeitig mit einem Bewegungstraining unter medizinischer Kontrolle zu beginnen. Fahrradergometer oder Laufband sind geeignete Geräte. Bewegung steigert die Fitness, baut Muskelmasse auf und wirkt auch gegen Depressionen und Schmerzen. Außerdem kann Sport nach neuesten Untersuchungen auch vor Rückfällen schützen. Übermäßige Schonung hat keinen positiven Effekt auf die Fatigue – im Gegenteil: Die körperliche Leistungsfähigkeit würde noch weiter schwinden.
Hilfreich für die Psyche kann auch eine Psychotherapie sein, vor allem eine Verhaltenstherapie: Dabei wird in Einzel- oder Gruppengesprächen versucht, Verhaltens- und Erlebensmuster so zu verändern, dass die Fatigue zurückgeht und nicht noch weiter verstärkt wird. Wichtig ist aber, dass Patienten einen professionellen Therapeuten finden, der Erfahrung mit der Behandlung von Fatigue bei Krebs hat.
(Auszüge aus:
https://www.netdoktor.de/krankheiten/fatigue-syndrom/;
https://www.rnd.de/gesundheit/long-covid-so-geht-es-betroffenen-mit-corona-spaetfolgen)
https://www.patientinnenportal.at/belastende-nebenwirkungen-5/
https://www.patientinnenportal.at/linderung-von-nebenwirkungen/