Narzissmus
Narzissmus ist in aller Munde, überall lauern scheinbar selbstverliebte Egomanen. Doch wie tickt ein Narzisst wirklich und was bedeutet das Wort Narzissmus?
Das Wort Narzissmus kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet im weitesten Sinne Selbstbewunderung, Eitelkeit und Selbstverliebtheit eines Menschen.
Narzisstische Persönlichkeitszüge trägt jeder von uns in sich, in manchen Fällen liegt aber auch eine Persönlichkeitsstörung dahinter.
Die narzisstische Persönlichkeitsstörung
Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung ist eine tiefgreifende Störung der Persönlichkeit, bei der ein mangelndes Selbstwertgefühl und eine starke Empfindlichkeit gegenüber Kritik bestehen. Diese Merkmale wechseln sich mit einer auffälligen Selbstbewunderung und übersteigerten Eitelkeit und einem übertriebenen Selbstbewusstsein nach außen hin ab. Letzteres dient den Betroffenen dazu, ihr geringes Selbstwertgefühl zu kompensieren. Darüber hinaus können sie sich schlecht in andere Menschen einfühlen.
Die Betroffenen neigen dazu, sich nach außen hin als großartig zu präsentieren. Sie betonen zum Beispiel ihre beruflichen Leistungen, treten sehr statusbewusst auf oder haben eine Neigung zu exklusiven Aktivitäten. Oft überschätzen sie dabei ihre eigenen Fähigkeiten oder stellen sie besser dar, als sie es in Wirklichkeit sind. Außerdem neigen sie dazu, zu lügen – mit dem Ziel, Zuwendung und Anerkennung zu bekommen oder aber ihren eigenen Willen durchzusetzen. Wegen ihres geringen Einfühlungsvermögens verhalten sie sich anderen gegenüber oft so, wie sie selbst nicht behandelt werden möchten: Sie beuten andere aus oder zerstören aus Neid deren Leistungen.
Die Ursachen von Narzissmus
Man könnte denken, dass die moderne Lebensweise, unterstützt von den sozialen Medien, narzisstische Störungen fördert. Es gibt aber keine empirischen Studien, die belegen würden, dass narzisstische Störungen inzwischen häufiger auftreten.
Es spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, zum Beispiel Umwelteinflüsse und Erziehung. Nach neuesten Zwillingsstudien haben die Gene bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung einen größeren Einfluss als bei anderen Persönlichkeitsstörungen.
Vor allem ungünstige Interaktionen mit Bezugspersonen in der Kindheit sind von großer Bedeutung. Der Psychoanalytiker Otto Kernberg etwa geht davon aus, dass emotional kalte oder latent aggressive Eltern eine übersteigerte Selbstdarstellung fördern. Kinder, die wenig Anerkennung erhalten, bewältigen diese Verletzung des Selbstwerts durch den Fokus auf Leistungen, für die sie gelobt werden. Andere Forscher vermuten, dass Kinder, die von den Eltern keine Grenzen erhalten, ein unrealistisches und perfektionistisches Selbstbild entwickeln können.
Woran erkennt man Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung?
- Die Betroffenen haben ein grandioses Verständnis der eigenen Wichtigkeit. Sie übertreiben zum Beispiel ihre Leistungen und Talente oder erwarten ohne entsprechende Leistungen, von anderen als überlegen anerkannt zu werden.
- Sie sind stark von Phantasien über grenzenlosen Erfolg, Macht, Brillanz, Schönheit oder idealer Liebe eingenommen.
- Sie glauben von sich, „besonders“ und einzigartig zu sein. Deshalb sind sie überzeugt, nur von anderen „besonderen“ oder hochgestellten Menschen verstanden zu werden oder nur mit diesen Kontakt pflegen zu müssen.
- Sie benötigen exzessive Bewunderung.
- Sie legen ein hohes Anspruchsdenken an den Tag. Das bedeutet, dass sie die übertriebene Erwartung haben, dass automatisch auf die Erwartungen eingegangen wird oder dass sie besonders günstig behandelt werden.
- Sie verhalten sich in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch, das heißt, sie nutzen andere aus, um ihre eigenen Ziele zu erreichen.
- Sie zeigen einen Mangel an Einfühlungsvermögen, das heißt, sie sind nicht bereit, die Gefühle oder Bedürfnisse anderer zu erkennen, zu akzeptieren oder sich in sie hineinzuversetzen.
- Sie sind häufig neidisch auf andere oder glauben, andere seien neidisch auf sie.
- Sie zeigen arrogante, hochmütige Verhaltensweisen oder Ansichten.
Narzissmus in der Familie
- Sind Elternteile narzisstisch, gelingt es ihnen ihrer Selbstbezogenheit nicht, die Bedürfnisse der Kinder zu beachten. Stattdessen richten sich die Kinder nach den Wünschen der Eltern, sie sind permanent damit beschäftigt, zu erspüren, wie es ihren Vätern und Müttern geht. Nur wenn sie sich nach ihnen richten, bekommen sie Aufmerksamkeit oder Zuwendung. Der Preis ist, dass sie im Extremfall keinen Zugang zu ihren eigenen Gefühlen entwickeln. So schreiben es Robert M. Pressmann und Stephanie Donaldson-Pressmann in ihrem Buch „The Narcissistic Family“. Während die Anpassung an die Bedürfnisse der Eltern im jüngeren Alter oft nicht direkt auffalle, komme es später zu Konflikten. Meistens dann, wenn die Kinder eigene Bedürfnisse und Themen entwickeln, weil sie weniger auf die Eltern fokussiert sind und mehr auf Gleichaltrige.
- Unter den Charakteristika, die narzisstische Familien kennzeichnen, sei das auffälligste ein hohes Maß an Misstrauen. Das erklären Pressmann und Donaldson-Pressmann unter anderem damit, dass die offensichtlichen Schwierigkeiten beginnen, wenn die Kinder wagen, ihren eigenen Willen zu entwickeln – und mit der Ablehnung der Eltern konfrontiert werden. Ein weiteres typisches Merkmal narzisstischer Eltern sei das gelegentliche Überschütten der Kinder mit Aufmerksamkeit. Diese für das Kind unvorhersehbaren Situationen binden es umso stärker an die Eltern. Auch weil es das Vertrauen in sich selbst verliert, da es nicht nachvollziehen kann, wann es Zuwendung bekommt und wann nicht.
- Andere Autoren betonen, dass es Narzissten und Narzisstinnen in der Beziehung zu ihren Kindern meist nicht um diese gehe, sondern um sich selbst, um die eigene Anerkennung, Bestätigung oder Spiegelung. Ihre Liebe sei nicht selbstlos, sondern diene der Selbstliebe. Oft benutzen Narzissten ihre Kinder als Erfüllungsgehilfen für die eigenen Wünsche. Sie sollen sozusagen Erweiterungen ihrer selbst darstellen. Deutlich wird dies etwa in narzisstischen Vätern, die die Erziehung ihren Partnerinnen überlassen und häufig in erster Linie ihren eigenen Interessen nachgehen. Bei entscheidenden Lebensfragen haben sie allerdings oft den Anspruch, das Kind zu führen, also ihm ihre Vorstellungen aufzuerlegen. Sie möchte sich in ihrem Kind widergespiegelt sehen.
- Demgegenüber legen narzisstische Mütter oft Wert auf eine perfekte Fassade und sind vermeintlich engagiert in der Erziehung. Sie zeigen ihren Kindern gegenüber aber wenig Wärme oder Einfühlungsvermögen. Die Kinder dienen in erster Linie der Selbstdarstellung und eigenen Bedürfnisbefriedigung. Das kindliche Bedürfnis nach Wärme und Zuwendung, Einfühlung oder positiver Rückmeldung bleibt unbeantwortet. Als Erwachsene berichten sie oft, dass sie sich in ihrer Kindheit „unsichtbar“ gefühlt haben.
- Viele Kinder von Narzisstinnen leiden als Erwachsene unter Depressionen, Selbstwertproblemen, Verlustängsten oder Beziehungsproblemen. Oft haben sie Schwierigkeiten, sich von den Gefühlen anderer Menschen abzugrenzen. Das ist verständlich, denn das Erspüren und Eingehen auf die Bedürfnisse anderer war in ihrer Kindheit sehr wichtig.
- Gerade in distanzierten oder abwertenden Familien zeigen manche Kinder narzisstische Verhaltensweisen, um sich vor negativen Emotionen oder Zurückweisung zu schützen. Sie entwickeln also selbst eine narzisstische Problematik.
- Viele Kinder von Narzissten wählen den Weg der Höchstleistungen um mit ihrem instabilen Selbstwertgefühl umzugehen. Sie verausgaben sich im Studium oder Job, manchmal entwickeln sie eine chronische Erschöpfung, Burnout oder Essstörungen. Andere verweigern sich dem Leistungsanspruch, resignieren, gleiten in Sucht und Depressionen ab.
- Auch die Wahl späterer Partnerinnen ist häufig geprägt von den Kindheitserfahrungen. Weil ihnen diese Beziehungsdynamiken vertraut sind, wählen Kinder narzisstischer Eltern oft Partner oder Partnerinnen, die ihre emotionalen Bedürfnisse ebenfalls nicht erfüllen können oder für die sie sorgen müssen.
(Auszüge aus: https://www.psychologie-heute.de/; www.therapie.de/psyche)