Gen-Drive: Genmanipulation in freier Natur
Ein Gene Drive kann das Erbgut freilebender Tiere verändern – eine Option im Kampf gegen Malaria, invasive Arten und Pflanzenschädlinge.
Der Begriff Gene Drive bezeichnet ein genetisches Element, das konkurrierende Genvarianten aus dem Erbgut verdrängt. Die natürlichen Regeln der Vererbung gelten dann nicht mehr. Eine kleine Zahl genmanipulierter Tiere könnte in kurzer Zeit eine ganze freilebende Population dominieren.
Mücken genetisch manipulieren, um den Erreger der Malaria abzutöten? Oder gleich die Mücken in ihrer Gesamtheit ausrotten? Was vor wenigen Jahren noch Utopie war, wird vielleicht bald Realität:
Ein Gene Drive könnte das Erbgut wildlebender Tiere nach Belieben verändern.
Egoistische Elemente
Bereits im Jahr 2003 schlug der britische Forscher Austin Burt vor, neue genetische Eigenschaften an egoistische genetische Elemente zu koppeln. Diese Elemente springen selbständig von einem Chromosom zum anderen und verbreiten die neuen Gene im gesamten Erbgut.
Während im Normalfall jedes Elternteil jeweils ein Chromosom mit einer bestimmten Genvariante vererbt, tauscht der Gene Drive die konkurrierende Genvariante aus und überträgt sich auf nahezu 100 % aller Nachkommen. Auch dann, wenn das manipulierte Gen die Überlebenschancen der Tiere beeinträchtigt.
Das manipulierte Gen könnte am Ende die gesamte Population verändern. Wann dieser Endpunkt erreicht wird, hängt stark von den Ausgangsbedingungen ab, aber Forscher schätzen die Zahl auf einige dutzend Generationen. Bei Tieren mit kurzen Generationszeiten – wie etwa Mücken – kann dies schon innerhalb weniger Jahre der Fall sein.
Neue Optionen
Dies eröffnet neue Optionen bei der Behandlung von Infektionskrankheiten. Malaria, Dengue und Zika, u.a. werden durch Mücken übertragen. Fallen diese als Zwischenwirte aus, kann sich auch die Krankheit nicht verbreiten. Ein Gene Drive könnte dies erreichen, indem er eine Immunreaktion in den Tieren erzeugt, welche die Erreger frühzeitig abtötet. Oder er sorgt dafür, dass die Mücken unfruchtbar werden – und damit die ganze Population zum Aussterben verurteilen.
Zahlreiche weitere Anwendungen sind denkbar. So könnte ein Gene Drive die Entwicklung von Resistenzen rückgängig machen, die manche Pflanzen gegen Herbizide entwickelt haben. Oder er könnte die Ausbreitung invasiver Arten eindämmen:
Wie etwa bei der eingeschleppten Aga-Kröte, die sich gerade in Australien ausbreitet und das natürliche Ökosystem bedroht.
Aufruf zur Zurückhaltung
Die Folgen sind allerdings kaum absehbar. Ein Gene Drive ist nur mit Mühe zurückzunehmen – falls es überhaupt möglich ist. Gerät er außer Kontrolle, könnten ganze Ökosysteme darunter leiden. Das Risiko ist groß, und Mechanismen für eine wirksame Kontrolle fehlen.
Im Juli 2014 haben führende Wissenschaftler einen öffentlichen Aufruf verfasst:
Sie forderten eine behutsame Vorgehensweise, Schutzmaßnahmen gegen ungewollte Verbreitung und die Entwicklung neuer Methoden, die im Ernstfall eine Rücknahme der genetischen Manipulationen möglich machen. Und auch die Öffentlichkeit wurde aufgefordert, den Nutzen und die Risiken eines Gene Drives zu diskutieren.
Erste Gene Drives bald einsatzbereit
Doch das Echo auf diesen Aufruf war gedämpft. Der Öffentlichkeit ist das Problem kaum bewusst, eine Diskussion will nicht in Gang kommen. Gleichzeitig schreitet die Entwicklung rasch voran: 2018 konnte ein Gene Drive erstmals Mückenpopulationen auslöschen, die in großen Käfigen gehalten wurden.
Zumindest die größten technischen Hürden scheinen mittlerweile überwunden. Und falls sich in der Öffentlichkeit kein Widerstand regt, wären manche Gruppen mehr als bereit, einen Gene Drive so früh wie möglich in der freien Natur zu testen. Der erste Antrag auf Freisetzung könnte bereits im Jahr 2024 erfolgen.
(Auszüge aus: wissensschau.de)