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Tabuthema Sexualität bei Krebs-Betroffenen - Frau Dr.in Gerti Senger

Aktualisiert: 19. Aug.




Fr. Dr.in Gerti Senger, Sie sind klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin und Psychotherapeutin mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie.

Die Medienpräsenz ist ein Teil Ihres Schaffens. Sie konnten bereits viele Themen salonfähig machen. So auch das Thema Sexualität. Sie haben auch zu diesem Thema Bücher geschrieben.

Vielen herzlichen Dank, dass Sie sich für das heutige Interview Zeit genommen haben.

Fr. Dr.in, das Thema Sexualität ist besonders für KrebspatientInnen ein Heikles. Viele Betroffene leiden im Stillen. Krebsbetroffene und schwer erkrankte Menschen fühlen sich durch ihre Krankheit ihrer Sexualität beraubt.

Brustkrebs-Patientinnen z. B. durch die Operation entstellt und nicht mehr weiblich.

Prostatapatienten können ihre Sexualität nicht mehr so erleben, wie vor ihrer Krankheit. Auch Schmerzen beim Sex sind sehr belastend. Fr. Dr.in Senger, wie helfen Sie Betroffenen, die zu Ihnen kommen, in solchen Fällen? Es ist ein weiter Weg, den Menschen hier zu gehen haben und man muss sich darüber klar sein, dass er nur in kleinen Schritten gegangen werden soll. Es gibt keine Entschließung „ab morgen ist es anders“. Ich versuche klarzumachen, dass man Teilsicherheiten herstellen muss. Das heißt, eine Teilsicherheit wäre „wann fühle ich mich halbwegs gut in meinem Körper, z. B. in einem warmen Bad. Diese Sicherheitsinsel sollte man wiederholen, so oft es nur geht, damit der positive Zugang zum Körper auf irgendeine Weise hergestellt ist.

Der nächste Schritt wäre natürlich, dass man diese Ängste die man hat und die Unsicherheit, so wie Sie gesagt haben, Leiden sind. Dieses stille Leiden ist eine permanente Verstärkung der Unsicherheit, weil die positive Stimulation von außen fehlt. Bei einem Partner wäre es gut, das ganze Thema zur Sprache zu bringen. Das heißt, dass da auch große Schwierigkeiten bestehen und dass man dazu neigt, aus der Situation zu flüchten. Das heißt, man redet nicht darüber, sondern man beschützt sich, im wahrsten Sinne des Wortes. Also nicht nur körperlich, sondern auch sprachlich.

Wenn das Thema aber besprochen werden kann mit einer Partnerin bzw. einem Partner, mit einer Freundin oder einer Ärztin bzw. einem Arzt oder einer Therapeutin bzw. einem Therapeuten, das ist ganz egal, so ist das Wichtigste, sich zu konfrontieren. Wesentlich ist, dass ich mich überwinden kann, dass ich meine Lieblosigkeit überwinden kann, dass ich auch wieder wohnen kann in meinem Körper und akzeptieren, dass es ein anderer Körper ist, aber nach wie vor meiner und ein guter. Das sind viele kleine Schritte, die weiterhelfen. Fr. Dr.in, auch die Einnahme von Medikamenten kann die eigene gewohnte Form, Sexualität zu leben, verändern. Psychopharmaka z. B. oder Antihormone oder andere Medikamente helfen sehr wirksam bei der eigenen Erkrankung, allerdings gehen Lustgefühle nahezu vollkommen verloren. Oftmals können sich die Betroffenen selbst nicht mehr spüren. Das macht sie auch sehr traurig. Gibt es hier Möglichkeiten, was können Sie uns dazu sagen? Das ist auch ein schwieriger Weg. Die Lust, wie wir sie kennengelernt haben in seiner optimalen Form, das heißt, ohne Krankheit, sehr jung, triebgesteuert, bestätigt von der Partnerin oder vom Partner. Wenn man dieses Gebiet verlässt und eine andere Sichtweise vor Augen bekommt, dann empfindet man positive Gefühle. Wenn ich gehalten werde wenn es dunkel ist, wenn wenig Licht ist, wenn ich gestreichelt werde, auch das sind erotische Empfindungen. Wenn man die positive Erfahrung gemacht hat, hat man das Bedürfnis, diese zu wiederholen. Etwa zu Zweit mit der Partnerin oder dem Partner in der Badewanne oder unter der Dusche, sich umarmen, usw. Fr. Dr.in, was können Sie denn PartnerInnen von Betroffenen empfehlen, wie sie am Besten mit der neuen Situation umgehen können und wie auch sie mit der neuen Form der Sexualität Zufriedenheit finden können? Also, weil Sie sagen, neue Formen der Sexualität, da muss man sich tatsächlich bewusst machen, dass Sexualität auch mit dem Älterwerden und reifer werden sich verändert.

Wir sind sehr fokussiert auf die Sexualität der jungen, gesunden Paare. Und auch das müsste man mit dr Partnerin oder dem Partner thematisieren, denn auch ihr bzw. sein Leben verändert sich. Sie oder er ist ja auch älter geworden, hat auch Kontakt mit Krankheiten gehabt, oder hat Kontakt damit.

Da gibt’s vielleicht andere Stimulationsmöglichkeiten als die bisher bekannten und üblichen. Es gibt sehr viele Bücher, die man lesen und wo man sich mit Praktiken und Erfahrungen auseinandersetzen kann. Hier könnte man hineinschmökern, man muss es nicht befolgen, aber es gibt Anregungen, Inspiration und da entdeckt man schon die eine oder andere Möglichkeit sich sexuell anzunähern, die man bisher nicht praktiziert hat. Also Bereitschaft zur Veränderung. Veränderung macht Angst, aber wenn man den Schritt zur Veränderung macht, dann ist es schon der halbe Weg. Etwas anders zu machen als bisher und nach einer positive Erfahrung dabei bleiben. Fr. Dr.in Senger, ich bedanke mich ganz herzlich für die vielen wertvollen Tipps und Informationen, die Sie uns gegeben haben. Gibt es irgendetwas, das Sie den PatientInnen und Betroffenen noch gerne mitgeben möchten? Wie die Praxis zeigt ist das Wesentliche, die depressive Lieblosigkeit zu überwinden. Das ist dann so eine Stagnation, da bleibt man quasi gefangen in einer scheinbar ausweglosen Situation. In dem Moment ist es besser, wo man einen Schritt tut, also Konfrontation mit der Depression.

Die Konfrontation mit der Situation, mit der Partnerin bzw. dem Partner, mit dem Gespräch, mit neuen Erfahrungen, das ist das Gegenmittel gegen das Gefühl lieblos zu sein, nichts tun zu können, das ist genau das, was man in der Situation braucht. Wenn man den Eindruck hat, man kann eingreifen und verfügen über seine eigene Situation, dann ist die Depression quasi blockiert und kann sich nicht mehr ausbreiten. Vielen herzlichen Dank, Fr. Dr.in Senger, dass Sie sich für dieses Interview Zeit genommen haben. Bestimmt können Sie Betroffenen mit Ihren wertvollen Informationen einen großen Schritt weiterhelfen. Viele trauen sich nicht, über dieses Thema zu sprechen und deshalb denke ich mir ist es wichtig, ein Interview in dieser Form zu führen, damit man es sich anhören kann und dann hoffentlich Lösungen für sich selbst findet.

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