Tabuthema Tod
Der Tod – das ist für viele Menschen ein Tabuthema.
Ich möchte Euch Auszüge aus einem Artikel des „Spiegel-Online“ näherbringen, in dem die Berliner Ärztin Annette Dieing dafür plädiert, sich rechtzeitig und pragmatisch mit dem Sterben auseinanderzusetzen. Lachen und Humor kann mit dazugehören.
Annette Dieing, 45, ist Internistin und praktiziert als Fachärztin für Hämatologie und Onkologie. In Berlin ist sie Ärztliche Leiterin des Medizinischen Versorgungszentrums im Vivantes Klinikum Am Urban, Deutschland
„Werde ich nach meinem Beruf gefragt, sagt sie, gerate ich häufig ins Stocken und schleiche ein wenig darum herum.
Denn sobald ich erzähle, dass ich mich als Ärztin auf bösartige und oft unheilbare Krankheiten wie Krebs spezialisiert habe, und womöglich erwähne, dass ich das einen wundervollen Beruf finde, der mir sehr viel Freude macht, muss ich mir meist rasch einen neuen Gesprächspartner suchen.“
Das Thema Sterben ist für viele Menschen schwierig. Fast alle meiden es und sind ein wenig hilflos, wenn es angeschnitten wird. Es gibt nichts so Alltägliches und jeden Betreffendes, das gleichwohl uns allen so fremd ist und das wir so gekonnt aus unserem Leben verdrängen.
Wie Menschen sterben wollen – und wie sie es wirklich tun.
Laut Umfragen wollen fast 70 Prozent der Menschen zu Hause sterben. Mehr als 80 Prozent von uns erleben einen mehr oder weniger langen Krankheits- und Sterbeprozess. Theoretisch könne man sich also darauf vorbereiten und das Sterben in den eigenen vier Wänden planen.
Die Realität sieht anders aus:
75 Prozent sterben im Krankenhaus oder Heim, nur etwa 20 Prozent tatsächlich zu Hause. Warum ist das so? Ich vermute, dass die Leute in gesunden Tagen gefragt werden. Doch wenn man noch voll im Leben steht, ist das Bild vom Sterben vielleicht verklärt. Diejenigen, die angeben, zu Hause sterben zu wollen, haben in der Regel noch nie einen Sterbeprozess begleitet.
Die Vorstellung vom Sterben wird in dem Moment eine andere, in dem man unheilbar krank wird und erlebt, wie das ist, wenn man Schmerzen, Luftnot, Angst hat. Man will dort sein, wo diese bedrohlichen Dinge gelindert werden können. Wer traut das schon seinen Angehörigen oder Freunden zu?
Aufruf an Liebende
Was für den Sterbenden gilt, gilt auch für Angehörige: Wer möchte nicht den geliebten Menschen in der Stunde des Todes in den Armen halten? Wie Winnetou seine Nscho-tschi, die mit einem schmelzenden „Winnetou, mein Bruder, räche mich“, die ohne Schmerzen und Angst und selbstverständlich wunderschön in die ewigen Jagdgründe eingeht.
Vergessen Sie das, kein Mensch stirbt so. Sterben ist ein Prozess, der sich oft über Tage, manchmal Wochen hinzieht. Wir schleichen uns aus dem Leben. Doch damit können die wenigsten umgehen. Aus diesem Grund bekommen so viele Sterbende wie Liebende in den letzten Lebenstagen eine große Angst und kommen überstürzt ins Krankenhaus – gerade so, wie das keiner der Beteiligten eigentlich wollte.
Ich rate Ihnen:
Lernen Sie, wie man Dinge wie Schmerzen, Luftnot und Angst lindert. Es gibt eine Handvoll Medikamente, mit denen man umgehen können muss, was aber jeder lernen kann. Trauen Sie sich! In den allermeisten Fällen hat man dazu genügend Zeit.
Schmerzen treten nicht plötzlich in den letzten Lebensstunden auf.
Lassen Sie sich Pläne erstellen, wie viel von welchem Medikament in welcher Situation gegeben werden kann. Probieren Sie aus, sammeln Sie Erfahrung damit, gemeinsam mit dem oder der Betroffenen. Binden Sie rechtzeitig spezialisierte Pflegende und Ärzte ein. Und lassen Sie sich von ihnen eine Notfall-Nummer geben. Oft genügt ein Rat am Telefon, um eine schwierige Situation zu meistern und um viel Angst zu nehmen.
So falsch Beruhigungsmittel und angstlösende Medikamente als vermeintliche Lösung in vielen Fällen sind, so sinnvoll können sie in der Phase des Sterbens sein. Denn wo Angst, Anspannung und Unruhe so dringend notwendige Kräfte rauben und Lebensfreude zerstören, da haben sie ihren Platz. Schmerzen dürfen betäubt werden, wenn die Ursache nicht mehr behoben werden kann. Ebenso gibt es keinen Grund, warum man Angst in einer solchen Situation aushalten muss.
Der „Wedding Planner“
Haben Sie schon mal eine Hochzeit geplant? Das nimmt nicht nur locker Monate in Anspruch, es beschäftigt auch viele Menschen und kostet oft sehr viel Geld. Mühen, die wir für diesen einen besonderen und magischen Tag im Leben gerne in Kauf nehmen.
Das Sterben aber – auch ein besonderer, magischer Moment im Leben – wird meistens nicht so geplant.
Stattdessen wird so getan, als würde es gar nicht stattfinden.
Lediglich der Vorsatz – „Naja, da machen wir uns Gedanken, wenn es soweit ist“ – geistert in den Köpfen. Dabei ist Gevatter Tod verlässlicher als so manche Braut und kommt, auch wenn wir den Zeitpunkt nie genau wissen.
Deshalb sollten Sie planen! Vielleicht nicht mit 25 und kerngesund. Aber spätestens bei der Diagnose einer schweren oder gar unheilbaren Erkrankung. Das gilt auch für chronische Krankheiten, wie Herz- oder Nierenschwäche, ganz besonders aber für Krebs, Herzinfarkte oder schwere Lungenerkrankungen, die das Leben auf wenige Jahre oder gar Monate begrenzen können.
Planen Sie, solange Sie dazu in der Lage sind. Und stellen Sie sich den Fragen:
Wo will ich sein, wenn ich mich nicht mehr alleine versorgen kann? Eignet sich meine Wohnung? Welche professionelle Hilfe wird angeboten? Wie steht es mit finanzieller Unterstützung? Wer würde sich zur Hilfe bereiterklären? Wen will ich um mich haben? Ist vielleicht ein Hospiz das Richtige? Dann sehen Sie sich welche an!
Als Schwerkranker verlieren Sie Ihre Eigenständigkeit. Es ist bitter genug, sich nicht mehr alleine von A nach B bewegen und sich nicht mehr selbst versorgen zu können. Aber wenn auch noch der Ablauf des Tages vollkommen fremdbestimmt ist und Sie in einer nicht vertrauten Umgebung auf fremde Hilfe angewiesen sind, ist das besonders schlimm. Machen Sie sich rechtzeitig Gedanken, dann bestimmen Sie mit. Manchmal genügt auch nur ein weiches Kissen.
Diejenigen, die Sie begleiten sollen, müssen sich pflegerische und medizinische Kenntnisse aneignen. Es nützt nichts, wenn jemand hilflos vor dem vollen Medikamentenschränkchen steht und nicht weiß, was zu tun ist. Vielleicht hilft ja auch schon ein weiches Kissen zwischen den Knien gegen die Schmerzen oder ein kleiner Ventilator bei Luftnot.
Auch schwierige Dinge sollten Sie offen besprechen: Wie viel können und wollen Freunde und Angehörige helfen, und wann ist professionelle Hilfe besser? Können diejenigen, die einen Schwerkranken oder Sterbenden versorgen wollen, das auch verlässlich leisten? Überfordern sich diese Menschen, ist die Gefahr groß, dass der Betroffene das Gefühl hat, anderen zur Last zu fallen – eine ungeheure Qual. Gleichwohl ist Verlässlichkeit für Schwerkranke und Sterbende unverzichtbar.
Im Angewiesensein auf fremde Hilfe zählt jede Minute.
Versuchen Sie einmal, in einer unbequemen Position zehn Minuten zu verharren – das gibt vielleicht einen kleinen Eindruck dessen, was das Warten auf eine helfende Hand oder einen Schluck Wasser bedeuten kann.
Lachen erlaubt
Darf man mit Schwerkranken, gar Sterbenden lachen und scherzen? Aber ja! Humor ist nicht pietätlos. Er bringt Freude, Leichtigkeit und Lebendigkeit, die jeder braucht, wie krank auch immer. Vor einiger Zeit besuchte ich einen Schwerkranken, der bei uns auf einen Hospizplatz wartet. Bettlägerig, den Tod vor Augen, war er vollständig auf Hilfe angewiesen. Auf meine routinierte Frage nach seinem Befinden antwortete er mich einem verschmitzt
en Lachen auf den Lippen: „Na, det blühende Leben, Frau Doktor, det sehn Se doch!“ Scherze passen nicht immer, aber häufiger als man denkt. Trauen Sie sich zu lachen, das kann ein Lebenselixier sein.
Natürlich lässt sich das Sterben nicht wie eine Hochzeit planen. Krankheiten können auch unberechenbar verlaufen. Aber wenn man sich vorher damit auseinandersetzt, kommt man ganz sicher besser zurecht – auch wenn es nicht immer leicht ist. Die Endlichkeit gehört zum Leben und macht es doch auch besonders wertvoll. Wenn es uns gelingt, das mit Gelassenheit zu akzeptieren, dann wird es uns auch leichter fallen, geliebte Menschen im Sterben zu begleiten – und unser eigenes Sterben auszuhalten.
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