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Wenn das Nervensystem aus dem Takt gerät – Leben mit Multipler Sklerose




Grundlagen der MS


Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), bei der das Immunsystem körpereigene Strukturen – insbesondere die Myelinscheiden der Nervenzellen – angreift. Dies führt zu Entzündungen, Narbenbildung (Sklerose) und letztlich zu Störungen der Nervenleitung.


Die Erkrankung tritt meist im jungen Erwachsenenalter zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr auf. Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer. Mit geringerer Häufigkeit tritt sie aber auch schon im Kindes- und Jugendalter auf. Erstdiagnosen nach dem 60. Lebensjahr sind selten.


MS ist nicht ansteckend, nicht zwangsläufig tödlich, kein Muskelschwund und keine psychische Erkrankung. Auch die häufig verbreiteten Vorurteile, dass MS in jedem Fall zu einem Leben im Rollstuhl führt, sind so nicht richtig.


Häufigkeit


In Mitteleuropa leiden etwa 120–200 Menschen pro 100.000 Einwohner an MS.

In Österreich sind es nach Schätzungen rund 13.500 Betroffene (Stand: 2024).


Krankheitszeichen / Symptome


Die Symptome von MS sind äußerst vielfältig, da jede Entzündung in verschiedenen Arealen des Zentralnervensystems auftreten kann. Die Symptome treten meist schubweise auf, können sich aber auch schleichend entwickeln:


  • Sehstörungen (z. B. verschwommenes Sehen, Doppelbilder, Sehnerv-Entzündung)

  • Sensibilitätsstörungen (z. B. Kribbeln, Taubheitsgefühle, Missempfindungen)

  • Motorische Störungen (z. B. Lähmungen und Sehstörungen mit Verschwommen- oder Nebelsehen als Ausdruck einer Entzündung der Sehnerven).

  • Fatigue (ausgeprägte Erschöpfung)

  • Blasen- und Darmstörungen (z. B. häufiger, nicht gut kontrollierbarer Harndrang, Blasenentleerungs-Störung bis hin zur Inkontinenz oder als kombinierte Schädigung)

  • Kognitive Beeinträchtigungen (z. B. Konzentrationsstörungen)

  • Psychische Symptome (z. B. Depression, Stimmungsschwankungen, sexuelle Funktionsstörungen)



Wie wird MS festgestellt?


Die Diagnose basiert auf einem Zusammenspiel klinischer, bildgebender und laborchemischer Verfahren.

Wie bei einem Mosaik ergeben die verschiedenen Untersuchungsergebnisse die Diagnose. Es gibt keinen einzelnen Befund oder Untersuchungstechnik, die alleine die MS sichert.

Die McDonald-Kriterien (aktualisiert 2017) sind der internationale Standard zur Diagnosestellung.


  • Körperliche und neurologische Untersuchung

  • Magnetresonanztomographie (MRT): Zeigt typische Entzündungsherde („Plaques“) im Gehirn und Rückenmark.

  • Lumbalpunktion: Untersuchung des Nervenwassers (Liquor) auf sogenannte oligoklonale Banden (Hinweis auf Immunreaktion im ZNS).

  • Evozierte Potenziale (VEP, AEP, SEP): Messung der Nervenleitfähigkeit und Geschwindigkeit.

  • Ausschluss anderer Erkrankungen (z. B. Borreliose, Lupus)


Wie kann MS verlaufen?


Multiple Sklerose tritt in verschiedenen Verlaufsformen auf. Die häufigste ist die schubförmig remittierende MS (RRMS) mit etwa 85 % der Erstdiagnosen. Sie ist gekennzeichnet durch klare Schübe mit teilweiser oder vollständiger Rückbildung. Aus dieser kann sich eine sekundär progrediente MS (SPMS) entwickeln, bei der es zu einer schleichenden Verschlechterung ohne klare Schübe kommt. Die primär progrediente MS (PPMS) beginnt hingegen direkt mit einer kontinuierlichen Verschlechterung und betrifft etwa 10–15 % der PatientInnen.


MS muss nicht zwangsläufig schwer verlaufen. Gerade zu Beginn der Erkrankung kann es zu einer weitgehenden Abheilung der entzündlichen Herde und damit zur Rückbildung der auftretenden Krankheitszeichen kommen.

Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung verbessern die Prognose deutlich. Wichtig ist, dass Sie sich an den Arzt Ihres Vertrauens wenden, falls Sie Beschwerden verspüren bzw. wenn die ersten Symptome auftreten.


Wodurch wird MS verursacht?


Die genaue Ursache der Erkrankung ist noch nicht vollständig bekannt. Es handelt sich um eine multifaktorielle Erkrankung, bei der sowohl genetische als auch Umweltfaktoren eine Rolle spielen.

Eine genetische Prädisposition besteht, ohne dass ein klarer Erbgang vorliegt; bei Verwandten ersten Grades liegt das Risiko bei etwa 3–5 %.

Zu den relevanten Umweltfaktoren zählen Vitamin-D-Mangel, eine Epstein-Barr-Virus (EBV)-Infektion in der Jugend, Rauchen sowie eine geografische Lage in nördlichen Breitengraden.


Therapie und Behandlung


Obwohl die Multiple Sklerose bis heute nicht ursächlich heilbar ist, so gibt es Behandlungsmöglichkeiten, die zum Ziel haben, die akute Entzündungs-Reaktion eines Schubes zu hemmen (Schubtherapie), das Fortschreiten der Erkrankung aufzuhalten, die beschwerdefreie/-arme Zeit zu verlängern (verlaufsmodifizierende Therapie) sowie die MS-Symptome zu lindern und möglichen Komplikationen vorzubeugen (Symptomatische Therapie).

Die Therapien im Detail:


Akuttherapie

  • Bei Schüben: Hochdosierte Kortikosteroide (z. B. Methylprednisolon)


Verlaufsmodifizierende Therapie

  • Immunmodulatoren (z. B. Interferon-beta, Glatirameracetat)

  • Immuntherapeutika (z. B. Natalizumab, Ocrelizumab, Cladribin)

  • Eskalationstherapien bei aggressiver Verlaufsform


Symptomatische Therapie

  • Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie

  • Medikamente gegen Spastik, Schmerzen, Fatigue etc.

  • Psychologische Betreuung, neuropsychologische Therapie


Vor allem die letzten beiden Therapiebereiche werden meist kombiniert angewendet. Dabei können sie für und mit der Patientin bzw. dem Patienten individuell (abhängig von Alter, Geschlecht, Lebenssituation und Lebensplanung, sowie Begleiterkrankungen und der gegenwärtigen Krankheitssituation) angepasst werden.


Leben mit MS


Das Leben mit Multipler Sklerose (MS) bringt Herausforderungen mit sich, kann jedoch durch geeignete Therapien und psychosoziale Unterstützung positiv gestaltet werden.

Wichtig ist, möglichst aktiv zu bleiben, ohne sich zu überfordern. Der Fokus sollte auf den eigenen Stärken liegen, nicht auf den Einschränkungen. Wissen über die Krankheit und therapeutische Möglichkeiten stärkt das Selbstvertrauen und hilft, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Individuelle Grenzen sollten erkannt und akzeptiert werden. Trauer über den Verlust von Fähigkeiten ist erlaubt, doch der Blick sollte optimistisch nach vorn gerichtet bleiben. Technische Hilfsmittel und neue Strategien können helfen, Einschränkungen zu kompensieren. Es lohnt sich, unentdeckte Potenziale zu entfalten, das Selbstbild anzupassen und neue Lebensziele zu setzen. Hilfe anzunehmen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein wichtiger Schritt zur Bewältigung.



Anlaufstellen in Österreich


  • Österreichische MS Gesellschaft (ÖMSG): www.oemsg.at

  • MS-Zentren an Universitätskliniken (z. B. Wien, Graz, Innsbruck)

  • Rehabilitationseinrichtungen (z. B. Zentrum für ambulante Rehabilitation Wien, Humanomed Zentrum Althofen)



Fazit


Multiple Sklerose ist eine komplexe, bislang unheilbare, aber behandelbare chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems.

Dank medizinischem Fortschritt ist heute eine frühzeitige Diagnose sowie eine gezielte, individuell abgestimmte Therapie möglich, die den Krankheitsverlauf deutlich verlangsamen und die Lebensqualität verbessern kann.

Obwohl MS sehr unterschiedlich verläuft und mit Unsicherheiten verbunden ist, ermöglichen medizinische Betreuung, psychosoziale Unterstützung und aktive Lebensgestaltung ein weitgehend selbst bestimmtes Leben.

Entscheidend ist dabei ein gutes Zusammenspiel aus professioneller Hilfe, Eigenverantwortung und gesellschaftlicher Akzeptanz.

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